Friday, April 17, 2009

Umgekehrter Kulturschock: Fremd im eigenen Land

Nach über vier Jahren Entsendung und Leben in Troy, Michigan, bin ich vor drei Jahren aus beruflichen Gründen wieder zurück nach Deutschland gegangen. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass mich einige Überraschungen erwarten würden.

Bei meinem Weggang im Juni 2001 gab es noch die D-Mark. Im September 2005 stand ich dann im Supermarkt mit den Euros vor den Milchtüten, und hatte kein Gespür dafür, ob 80 Eurocent für einen Liter viel oder wenig sind (also, ein Liter sind knapp zwei Quarts; 80 Eurocent sind ungefähr 1,10 US-Dollar. Wie teuer war die Milch eigentlich 2001 gewesen? Und was macht das in Euro?).

Fragen über Fragen, die natürlich bis zu den immer noch vorhandenen Ladenschlusszeiten reichten. Also schnell zur Kasse gehetzt. Aber was ist das? Da stehe ich vor der Kasse Schlange und einer nach dem anderen stellt sich zwischen meinen Vordermann und mich. Wo gibt es denn so etwas? Bis mir wieder einfällt: Na klar, die Intimsphäre ist in Deutschland ja viel enger bemessen als in den USA. Die dachten, ich stehe einfach so neben der Tiefkühltheke. Also, Berührungsängste überwinden und eng an meine Vorderleute schmiegen – und nach hinten tapfer die Hackenschübe der Einkaufswagen ertragen.

Beim Kassieren kommt das nächste unausweichliche Drama: Freudig erregt über den Endpreis (12 Euro, also 25 D-Mark. Edeka ist ja wirklich billig!), halte ich freundlich lächelnd meine Karte bereit, um nach getanem Einscannen meine Einkäufe zu begleichen. „Kann ich noch 20 Mark, äh, Euro, in Cash zurückbekommen?“ Den Blick werde ich nie vergessen! Ich glaube, ich stand kurz vor der Zwangseinweisung.

Nach dem ungläubig-empörten Ausruf: „Wir sind doch hier keine Bank!“ zimmerte ich mir flugs einen Notfall-Satz zusammen, den ich in den kommenden Wochen immer mit auf die Straße nahm. „Entschuldigung, ich war so lange im Ausland.“ Das schien zu beruhigen. Allerdings nur für 30 Sekunden, denn als ich dann wie an der Tiefkühltheke einfach so herum stand, ereilte mich ein weiterer kräftiger Schub in meine Hacken mit dem Einkaufswagen vom Hintermann. Dieser dezente Hinweis und der nächste Blick der Kassiererin waren synchronisiert und hieß: Jetzt reicht es aber! Erst will sie Geld im Supermarkt, und jetzt rührt sie sich nicht vom Fleck. „Hallo! Die nächsten wollen auch einkaufen!!“ Ach ja, die Tüten werden ja selbst gepackt. Tüten. Tüten! Klar, 8 Pfennig, äh, Cent das Stück.

Fremd und dumm im eigenen Land.

Nun sind es aber schon drei Jahre, dass mich die Heimat wieder hat. Ich frage im Supermarkt schon lange nicht mehr nach Bargeld, und den richtigen Abstand zu Schlangenvorder- und hintermann finde ich meistens. Michigan vermisse ich sehr. Aber Deutschland ist auch schön. Jede Stadt hier ist auch eine: Es gibt ein Stadtzentrum, Kirchen mit echten Glocken, Fußgängerzonen. Ich kann in drei Stunden mit Tempo 200 an die Nordsee fahren. Wenn ich mag, kann ich auch in vierzig Minuten in einem Land mit einer anderen Sprache sein.

Allein das mit dem öffentlichen Nahverkehr, dass habe ich nicht wieder hinbekommen. Mein Auto ist mir heilig. Metro Detroit verdirbt in der Hinsicht.

Gastautorin: Steffi Kulpe

Anmerkung: Der Text entstand im September 2008. Inzwischen lebt die Autorin übrigens wieder in den USA



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